„Sie sterben langsam aus.“ Nein, ganz so drastisch muss man es nicht ausdrücken, aber die Fachexperten bei Versicherern, die sich auch mit alten Bedingungswerken auskennen, gehen so langsam in Rente. Damit gehen auch viel Erfahrung und Kopfwissen verloren. Es sind die grauhaarigen Angestellten, die immer noch staubige alte Deckungsbedingungen in der Haushaltsversicherung kennen und anwenden. Vergleichbares gilt auch für die Wohngebäudeversicherung.
Die Dokumentation der praktischen Regulierung von Schäden mit diesen alten Bedingungswerken ist nicht überall umfassend erfolgt. Die Konsequenz sind ein erheblicher Mehraufwand in der Regulierung von Schäden für die jüngeren Schadenssachbearbeiter sowie Fehler in der Regulierung. Eine technisch unterstützte Lösung dieser Herausforderung ist sehr oft nicht oder nur in Ansätzen vorhanden. Ich komme in diesem Beitrag später darauf zurück.
Ablösung der bisherigen Verwaltungssysteme
In den letzten Jahrzehnten wurde immer wieder die Ablösung oder Weiterentwicklung der Verwaltungssysteme der Versicherer anderen Prioritäten untergeordnet. Als Beispiele sind hier die Milleniumumstellung im Vorfeld von 2000 und die Währungsumstellung von Deutscher Mark auf den Euro im Jahr 2002 zu nennen. Dies hat zur Folge, dass bei vielen Versicherern die Verwaltungssysteme technisch immer noch auf Entwicklungen der 80er Jahre basieren. Zwar wurden für die Nutzer schicke Eingabemasken entwickelt und vor die eher nach DOS-Programmierung aussehenden bisherigen Eingabebildschirme geschaltet, aber dieser technische Rückstand verhindert die einfache und direkte Anbindung an die neue technische Welt aus Web und Cloud. In nicht wenigen Beispielen ist es so, dass für Kunden ein scheinbar direkt angebundenes Front-End mit vielen Funktionen zur Verfügung gestellt wird, aber in der Praxis werden die Kundeneingaben ausgedruckt, dem Sachbearbeiter auf den – vielleicht elektronischen – Schreibtisch gelegt, so dass dieser die Daten händisch in das Verwaltungssystem eingibt.
In modernisierten Varianten führt dies ein Mitarbeiter in einem Land mit niedrigerer Lohnstruktur oder ein Roboter (RPA) durch. Das Problem der mangelnden Schnittstellen bleibt gleich, verursacht aber geringere Kosten. Das ist keine nachhaltige Lösung. Derzeit ist bei vielen Versicherern die Ablösung der veralteten Systeme durch Lösungen von z. B. Guidewire, SAP, Sapiens, Duck Creek oder Keylane im Gange. Die größte Herausforderung bei der Ablösung veralteter Verwaltungssysteme liegt in der Migration des Versicherungsbestandes. Sie ist sehr komplex und konsumiert viel Entwicklungszeit. Die sonst so argwöhnisch beäugte Bankenindustrie ist bei den beschriebenen Herausforderungen, die im Kern aus der Ablösung alter Verwaltungssyteme und mangelnder Konnektivität bestehen, bereits wesentlich weiter. Das Resultat sind Medienbrüche, die vordringlich mit Personaleinsatz gelöst werden. Experten sprechen von einem Entwicklungsrückstand von fünf bis zehn Jahren der Versicherer gegenüber der Bankenindustrie.
Anspruch an das Kundenerlebnis (Customer Journey)
Weiterhin führt das Kaufverhalten und der Serviceanspruch der jüngeren Kundengeneration zu neuen Anforderungen für Vertrieb und Serviceangebot der Versicherer hinsichtlich Transparenz und Geschwindigkeit. Heute ist es möglich, über einen Versandhändler einen Kühlschrank zu jeder Tages- und Nachtzeit zu bestellen. Aber damit nicht genug. Der Kunde erhält sofort eine Auftragsbestätigung, zeitnah eine Versandbestätigung und kann minütlich den Versandstatus online prüfen.
Bestellt er per Express, so hat er das gute Stück innerhalb 48 Stunden zuhause, sofern dies sein Wunschtermin war. Der Blick über Branchengrenzen hinaus lohnt sich für die Versicherer. Die gleiche Erwartungshaltung legt der Kunde nämlich auch für seine Interaktion mit dem Versicherer an. Für ihn sieht es so aus, dass ein Deckungsversprechen, das in der Regel standardisiert ist, auf ein Stück Papier gedruckt wird und dies per Post zu ihm versandt wird. Es ist keine Lagerhaltung – außer dem Papier natürlich – erforderlich, der Versand erfolgt ganz einfach auf dem Postweg und der Kunde muss auch nicht zuhause sein, um die Ware – in dem Fall die Versicherungspolice – entgegen zu nehmen.
Warum sollte es länger als 48 Stunden dauern? Auch die Erwartung an die Transparenz an den Bearbeitungsstand seines Begehrens – sei es für den Versicherungsabschluss, die Vertragsänderung oder den Schadenfall – ist sehr hoch. Kann er doch bei Versandhändlern und Paketdienstleistern jederzeit online den Bearbeitungsstand abfragen. Die beschriebene Erwartungshaltung sollte das bestimmende Element einer kundenfokussierten Customer Journey sein. Viele Branchen setzen zur Erfüllung dieser Kundenwünsche zur Individualisierung und Erhöhung der Bearbeitungsgeschwindigkeit auf Künstliche Intelligenz und die Nutzung von Big Data ein. Warum macht das nicht auch verstärkt die Versicherungsbranche?
Wie können die Versicherer diese Herausforderungen bewältigen? Wie bereits erwähnt, wird die Frage mit der Einführung neuer Verwaltungssysteme beantwortet. Aus unserer Sicht ist das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist nicht die Lösung für alle beschriebenen Herausforderungen. Es bleibt die Tatsache, dass zunehmend die Fachexpertise für die Anwendung alter Bedingungswerke durch die Pensionierung der grauhaarigen Experten verloren geht.
Auch moderne Systeme wissen nicht, wie die Hausrat-Bedingungen aus 1974 (VHB74) im Schadenfall anzuwenden sind. Roboter können sicherlich immer wiederkehrende, gleiche Tätigkeiten übernehmen, wenn man es ihnen sagt. So spart man an dieser Stelle kostbare Ressourcen in Form von qualifizierten Mitarbeitern ein. Aber wer sagt den Robotern denn, was in den neuen Verwaltungssystemen zu tun ist?
Lösung durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI)
Der Schlüssel ist die Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI). Plattformen mit Künstlicher Intelligenz verhalten sich wie ein intelligenter Sachbearbeiter. Sie erhalten und verarbeiten kontinuierlich neue Informationen und wenden diese an. Mit jedem bearbeiteten (Schaden-)Fall lernen diese Plattformen hinzu. Sie lernen auch aus Fehlern. So wie ein Mensch (es machen sollte). Dazu besteht die Möglichkeit, auch alte Bedingungswerke und Arbeitsanweisungen anzutrainieren.
Eine KI-Plattform vergisst nichts, was sie nicht vergessen soll. Die Basis für die erfolgreiche Einbindung einer KI-Plattform liegt in 2 Komponenten: 1. Relevante Information aus zur Verfügung stehenden Dokumenten herauszulesen und daraus verwertbare Daten zu gewinnen und 2. Bedingungswerke und Arbeitsanweisungen auf diese Daten anzuwenden. Der clevere Einsatz von Künstlicher Intelligenz entlastet den Sachbearbeiter bei den Versicherern von zeitfressenden Tätigkeiten, entmündigt ihn aber nicht. Der Effekt ist ausschließlich positiv: Bearbeitungszeiten verkürzen sich, die Mitarbeiterzufriedenheit steigt, die Kostenstruktur der Versicherer wird entlastet und vor allem, der Kunde wertschätzt die schnelle und korrekte Bearbeitung seines Anliegens, zum Beispiel seines Schadens.
Eine KI-Plattform arbeitet rund um die Uhr an jedem Tag und sie geht auch nicht in Rente.
Viele Versicherer haben bereits begonnen, sich mit den Ideen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Da es ein komplexes Thema ist, stand es bislang nicht im Fokus der Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse. Inzwischen ist KI jedoch vom Buzz Word zur Marktreife gelangt. Mit dieser Technik wird das Spannungsfeld aus Mitarbeiterzufriedenheit, Kosteneffizienz, Kundenzufriedenheit und Prozessgeschwindigkeit aufgelöst.
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