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Europa & KI – 4 Fragen an Andreas Nemeth, CEO Uniqa Ventures

Europa & KI – 4 Fragen an Andreas Nemeth, CEO Uniqa Ventures

by omnius
November 28, 2023

1) Silicon Valley dominiert weiterhin den KI-Sektor, aber wir sehen auch neue Hubs in Europa, insbesondere in Estland und der Schweiz. Warum finden die größten Finanzierungsrunden für KI-Unternehmen trotzdem hauptsächlich außerhalb Europas statt?

Europa hat im Bereich der künstlichen Intelligenz viel zu bieten. Aber wenn es um Risikokapital geht, geben andere Kontinente den Ton an. Letztlich geht es bei Schlüsseltechnologien wie KI um die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum von morgen. Europa hat viel in die Grundlagenforschung und insbesondere in die künstliche Intelligenz investiert. Das große Geld wird aber in der Anwendung der neuen Technologien verdient. Hier überlässt Europa den Amerikanern und Chinesen das Feld. Wie wollen wir unsere Privatsphäre und den Datenschutz schützen, wenn wir am Ende nur auf amerikanische und chinesische KI-Lösungen zurückgreifen können? KI kann Leben retten und unsere Welt besser machen. Nutzen wir diese Chance und arbeiten wir daran, die Gefahren in den Griff zu bekommen.

2) Es scheint, dass einige technologische Innovationen, wie der hypothetische „Zuckerberg Twitter-Klon“, Europa meiden. Glauben Sie, dass Europa Gefahr läuft, technologisch zurückzubleiben und zu einem „Museum“ zu werden, während andere Regionen fortschrittliche Technologien entwickeln?
Nein, ich mache mir keine Sorgen um die Kreativität und den Erfindergeist in Europa. Europa hat ein unvergleichliches Humankapital, gute Universitäten und Forschungseinrichtungen. Um die Grundlagenforschung mache ich mir weniger Sorgen. Wie bereits erwähnt, liegt das große Geld nicht in der Forschung und Entwicklung, sondern in der Kommerzialisierung und Monetarisierung von Ideen. Ich sehe nicht, dass Amerikaner oder Asiaten Europa meiden. Das Gegenteil ist der Fall. Amerikanische Konzerne wie IBM oder Microsoft kaufen in Europa ein und profitieren so von den Forschungsinvestitionen der Europäer. Auch die Chinesen würden gerne bei europäischen KI-Start-ups zuschlagen. Doch im Gegensatz zu US-Unternehmen gibt es in Europa einige Staaten, die den Technologietransfer und den Verkauf von Schlüsseltechnologien bereits deutlich restriktiver handhaben. China hat hier mit Vorbehalten zu kämpfen und versucht daher, über Joint Ventures an KI-Technologie aus Europa zu gelangen. Insofern stellt sich die Frage, ob wir in Europa nicht selbstbewusster auftreten und unsere KI-Module auf eine europäische Plattform stellen sollten, die gegen Gebühr Zugang zu europäischer Technologie bietet. Analog zu Amazon ein European Web Service (EWS) oder eine europäische Cloud, in der KI-Anwendungen einen wesentlichen Eckpfeiler bilden.
3) PwC schätzt, dass KI bis 2030 bis zu 15,7 Billionen Dollar zur Weltwirtschaft beitragen könnte. Vor dem Hintergrund der Datenschutzgrundverordnung, Datenschutzbedenken und einer möglichen Überregulierung in Europa: Wie sehen Sie die Position Europas in dieser KI-Revolution? Welche Schritte sollten wir heute unternehmen, um sicherzustellen, dass Europa in dieser Entwicklung relevant bleibt?
Das Potenzial ist enorm und viele Menschen können – wie bei vielen exponentiellen Entwicklungen – heute noch nicht wirklich verstehen, wie groß und transformativ KI in nahezu allen Sektoren und Industrien noch werden wird. Dabei ist KI als Technologie nicht einmal neu, sondern wird bereits seit Jahrzehnten erforscht. Aber wir befinden uns jetzt an einem wichtigen Wendepunkt, an dem KI – zum Beispiel durch den Hype um ChatGPT – in das kollektive Bewusstsein gerückt ist und nun für die breite Masse zugänglich und nutzbar wird. Ich sehe die Gefahr, dass Europa jahrzehntelang in die KI-Forschung investiert hat, die Früchte nun aber anderswo geerntet werden. Die größten Geldgeber für europäische KI-Projekte sind beispielsweise IBM und Microsoft. Ich kann die europäischen Unternehmen nur auffordern, ihren technologischen Vorsprung zu nutzen und ihre KI-Lösungen weltweit zu vermarkten. Das schließt für mich natürlich auch den eigenen europäischen Markt mit ein. Europa tut gut daran, diese Entwicklung nicht präventiv durch neue Regulierungen zu verhindern, sondern – wie in anderen Bereichen auch – durch regulatorische Sandboxes zu begleiten. Wenn wir am Ende selbstfahrende Autos nur aus den USA oder China importieren, weil wir die darin enthaltene künstliche Intelligenz nicht selbst einbauen wollen, dann gute Nacht Europa und vor allem gute Nacht Deutschland.
4) Es gibt wachsende Bedenken hinsichtlich leistungsfähiger KI-Systeme und ihrer potenziellen Risiken. Teilen Sie die Ansicht von Persönlichkeiten wie Elon Musk und Steve Wozniak, die einen vorübergehenden Stopp der Entwicklung solcher Systeme fordern?
Abgesehen davon, dass einige Lösungen, wie das bereits erwähnte autonome Fahren, durch künstliche Intelligenz überhaupt erst möglich werden oder dass sie in kritischen Bereichen wie dem Bildungs- oder Gesundheitswesen zum Einsatz kommen, gibt es natürlich auch Risiken. So werden wir in wenigen Jahren KI-Anwendungen in jedem Haushalt, in jeder Familie und in jedem Unternehmen vom KMU bis zum Großkonzern wiederfinden. Nicht auszudenken, was passiert, wenn jemand diese Technologie allein besitzt oder kontrolliert. Für mich gehört KI zu den Schlüsseltechnologien der wirtschaftlichen Entwicklung wie die Dampfmaschine, die Elektrizität oder die Informationstechnologie selbst. Viele neue Technologien haben Ängste ausgelöst und wurden anfangs oft abgelehnt. Ich sehe das etwas anders. Wir sehen, dass sich neue Technologien heute viel schneller verbreiten können. Früher dauerte es Jahrzehnte von der Entwicklung bis zur breiten Anwendung. Im Informationszeitalter geht alles viel schneller und Monopole entstehen viel schneller. Es dauerte nur wenige Jahre, bis Google die Internetsuche dominierte, Apple die Dominanz europäischer Anbieter wie Nokia brach, Facebook zur führenden Social-Media-Plattform aufstieg. Europäische Unternehmen wurden hier bestenfalls ersetzt oder haben das Humankapital gestellt. Die Headquarters befinden sich heute in den USA. Wenn sich dieser Trend bei KI in ähnlicher Weise wiederholt und der Markt von US-Unternehmen oder den Chinesen dominiert wird, sehe ich für den Wirtschaftsstandort langfristig schwarz. Das ist für mich die eigentliche Gefahr, der es zu begegnen gilt.
Andreas ist CEO der UNIQA Ventures GmbH, dem Venture Capital-Arm der UNIQA Insurance Group AG, einem der führenden Versicherungsunternehmen in Zentral- und Osteuropa und Pionier des Corporate Venture Capital in Österreich. Der gebürtige Österreicher hält einen Doktor der Wirtschaftswissenschaften der Universität St. Gallen und baut biologischen Wein am eigenen Familiengut an.

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